Im September 1930 sandte der Gemeinderat von Aarberg ein Dankesschreiben an die Landestopografie. Deren Ingenieure hatten zahlreiche einzelne Luftbilder zu einem zusammenhängenden und massstabsgetreuen Fotoplan zusammengesetzt. Die Faszination, die vom ungewohnten Blick auf die eigene Gemeinde ausging, war im Dankesschreiben des Gemeinderats spürbar:
"Die Gemeindebehörde hat […] diesem vorzüglich gelungenen, eigenartigen Werke ihre volle Bewunderung und Anerkennung bekundet und dankt Ihnen, hochgeehrter Herr Direktor, wie auch allen Mitarbeitern, die ihr Können und ihre Arbeit für dieses schöne Werk verwendet haben, aufs herzlichste."
Auch fast ein Jahrhundert nach dem Aarberger Schreiben ist das Interesse an Luftbildplänen ungebrochen. Das zeigt sich bereits darin, dass das Orthofotomosaik SWISSIMAGE ein stark nachgefragtes Produkt von swisstopo ist.
SWISSIMAGE HIST ist eine Zusammensetzung von historischen Schwarz-Weiss-Luftbildern (vor 1998) über die ganze Schweiz mit einer Bodenauflösung von 50 cm. Das Besondere an diesem Orthofotomosaik ist seine zeitliche Komponente: SWISSIMAGE HIST fusst nicht auf Aufnahmen aus der Gegenwart, sondern auf solchen, die swisstopo über einen Zeitraum von 76 Jahren erstellt hatte. Setzt man sie zusammen, entsteht eine faszinierende Zeitreise.
Zwischen 2017 und 2020 publizierte swisstopo SWISSIMAGE HIST in der Zeitreise Luftbilder für den gesamten Zeitraum ab 1970. Diese bereits beträchtliche Zeitreihe wurde nun auf Grundlage von rund 60'000 Luftbildern aus den Jahren 1946–1970 um ein Vierteljahrhundert erweitert.
Die verwendeten Luftaufnahmen entstanden im Rahmen der Gesamtnachführung der Landeskarte und lagen zunächst nur analog auf Glasplatten oder Fotofilmen vor. Mitarbeitende von swisstopo restaurierten und konservierten die Fotografien aufwändig, scannten sie in hoher Auflösung und erfassten die vorhandenen Metadaten. Erst durch diese Arbeiten wurde die Erstellung eines historischen Orthofotomosaiks möglich.
Unter der Federführung des swisstopo-Topografen Holger Heisig wurden die Luftbilder anschliessend so vereinheitlicht, dass sie die Landschaft massstabsgetreu und verzerrungsfrei abbilden. Um die Fotografien entzerren und orientieren zu können, musste zunächst festgestellt werden, in welcher Lage und Höhe sowie in welchem Rotationswinkel sich die Luftbildkamera zum Zeitpunkt jeder einzelnen Aufnahme befand. Um dieses Ziel zu erreichen, war Erfindungsgeist gefragt: Die Luftbilder waren im Lauf der Jahrzehnte in unterschiedlichen Flughöhen, aus unterschiedlichen Winkeln und mit unterschiedlichen Kameras aufgenommen worden. Heute werden solche Positions- und Kameradaten während Vermessungsflügen automatisch erfasst, für die Luftbilder aus der Zeit 1946–1970 sind sie jedoch nicht überliefert.
Dank der erfassten Metadaten, beispielsweise zur Kamera-Brennweite, sowie der automatisierten Messung von Bodenreferenzpunkten, konnten die Kameraposition und -ausrichtung jeder Aufnahme in hinreichender Genauigkeit rekonstruiert werden. Diese Daten sowie der Abgleich mit dem aktuellen Höhenmodell von swisstopo, swissALTI3D, kamen bei der Orthorektifizierung zum Einsatz. Es entstanden massstabsgetreue Orthofotos, die sich für die Verwendung in der Zeitreise Luftbilder eigneten.
Die korrigierten Luftbilder wurden zu Kacheln zusammengesetzt, die jeweils nur aus Aufnahmen desselben Jahres bestehen. Der Perimeter einer einzelnen Kachel entspricht einem Sechzehntel eines Blatts der Landeskarte 1:25 000. Diese Einteilung war erforderlich, damit das Mosaik an seinen Rändern nicht ausfranst. Trotz der notwendigen Einschränkung konnten 90–95% der verfügbaren Luftbilder für das Orthofotomosaik verwendet werden.
Beispiel für die Mosaikierung in 1/16-LK25-Kacheln. Für die orange markierten Bereiche wären ebenfalls Luftbilder verfügbar gewesen. Diese konnten jedoch nicht verwendet werden, weil sie vom Rest des Mosaiks isoliert sind (Fluglinie im Südwesten) und/oder die jeweiligen Kacheln nicht vollständig abdecken.
Wie bereits das Beispiel der fehlenden Kameradaten zeigt, sind Ingenieurinnen und Ingenieure mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie ein Orthofotomosaik aus historischen Luftbildern herstellen. Eine dieser Herausforderungen bestand bei der jüngsten Erweiterung von SWISSIMAGE HIST darin, dass die Orientierung der Fluglinien im betroffenen Zeitraum stark nach der Schweizer Topografie gerichtet war: Der technische Stand der Flugzeuge und die geringere Brennweite der Luftbildkameras erforderten bis in die 1970er Jahre eine tiefe Flughöhe, weshalb Piloten in den Berggebieten den Tallinien folgten. Das Resultat waren Fluglinien, die im Rückblick chaotisch erscheinen und schwieriger zu georeferenzieren sind – zum Zeitpunkt der Aufnahme stellten sie aber die mit den verfügbaren technischen Mitteln bestmögliche Flugplanung dar.
SWISSIMAGE HIST ist das Resultat eines vielschichtigen und innovativen Arbeitsprozesses, der hier nur in Grundzügen geschildert werden konnte. Interessierte Laien, Forstwissenschaftlerinnen, Glaziologen und Geomorphologinnen können mit dem Werkzeug Zeitreise Luftbilder so spannende wie nützliche Untersuchungen anstellen. Sowohl für eine nostalgisch-neugierige Zeitreise in die Vergangenheit des eigenen Dorfes als auch für wissenschaftliche Anwendungen wie die Analyse des Gletscherschwunds ist es geeignet. Die Daten des Produkts SWISSIMAGE HIST können beim Teilprozess Geodatenabgabe von swisstopo bestellt werden.
Nicht nur aufgrund seiner breiten Anwendungsmöglichkeiten stellt das historische Orthofotomosaik, vermittelt über die Zeitreise Luftbilder, einen Service Public dar. Dieser Dienst ist kostenlos und kann von jedem und jeder frei verwendet werden. Der Aufwand, ein eigenes Orthofotomosaik zur Beantwortung einer Fragestellung zu produzieren, entfällt dank der flächendeckenden Herstellung und Bereitstellung von SWISSIMAGE HIST durch swisstopo. Insbesondere für wissenschaftliche Anwender bedeutet dieses Once-Only-Prinzip eine beträchtliche Zeit- und Kostenersparnis. Die Produktion aus einem Guss sorgt zudem für ein Maximum an Qualität und Homogenität.
Seit Herbst 2022 befindet sich der Ausbau von SWISSIMAGE HIST auf seiner vorerst letzten Etappe. In den kommenden Jahren werden auch diejenigen Luftbilder in das Orthofotomosaik eingearbeitet, die zur Nachführung des Topographischen Atlas der Schweiz (Siegfriedkarte), erstellt wurden. Die Aufnahmen zum Vorgänger-Kartenwerk der Landeskarte stammen aus den Jahren 1926 bis 1952.