Digitale Raumdaten sind heute die unverzichtbare Grundlage zahlloser Anwendungen. Zwischen 1980 und 2000 machte swisstopo entscheidende Schritte in Richtung Digitalisierung.
Digital-Kartograf Kurt Lüthi an der Scitex-Anlage, 1988 (swisstopo Bildsammlung)
Auf Wanderungen, bei der Lawinenwarnung, in der Notrufzentrale: Überall kommen heute digitale Geodaten zum Einsatz. Vor gut vierzig Jahren war dies noch ganz anders. Die Papierkarte war damals das mit Abstand wichtigste Mittel der Rauminformation; nur wenige Schweizerinnen und Schweizer besassen überhaupt einen Computer.
1981 machte swisstopo einen bedeutenden Schritt Richtung Digitalisierung: Mitarbeitende des Amtes riefen das Projekt Dikart (digitale Karte) ins Leben. Es war aus der Erbmasse eines abgebrochenen Rüstungsprojekts der Schweizer Übermittlungstruppen entstanden und hatte zwei Ziele:
- Erarbeiten eines digitalen Geländemodells
- Abklären, ob Landeskartenblätter am Computer nachgeführt werden könnten
Auch für das Verhältnis zur Armee bedeutete das Projekt einen Wendepunkt: Die Federführung bei der Produktion digitaler Geodaten ging nun immer mehr von der Armee zu swisstopo über.
Geodaten sind raumbezogene Daten, welche die Gegebenheiten eines Landes beschreiben. Sie haben viele Erscheinungsformen und können sowohl in analoger als auch in digitaler Form vorliegen.
Die Slideshow präsentiert eine Auswahl bekannter und oft verwendeter Geodaten.
«[D]ie Aufgabe der Übermittler ist es, zu übermitteln, eine digitale Schweiz gehört aber in den Aufgabenbereich der Landestopographie!»
Der Weg zur digitalen Karte war ein Kraftakt: Etablierte Arbeitsprozesse und Infrastrukturen mussten angepasst, zehntausende Arbeitsstunden investiert werden.
Testfilm zur digitalen Kartenbearbeitung, 1994 (swisstopo Bildsammlung)
Im Rahmen von Dikart prüfte swisstopo, ob Landeskarten auch am Computer aktualisiert werden können. Zwischen 1988 und 1991 erfolgten wegweisende Versuche in diese Richtung. Dabei kam ein Kartografiesystem der israelischen Firma Scitex zum Einsatz. An zwei Arbeitsstationen konnten Topografinnen und Topografen Papierkarten farbgetrennt scannen und anschliessend digital bearbeiten.
Der Vorstoss in die digitale Kartografie war erfolgreich: 1989-1991 aktualisierten Topografinnen und Topografen die Landeskartenblätter «Langnau», «Romont» und «Winterthur» mit der Scitex-Anlage.
Die Versuche an der Scitex-Anlage zeigten, dass eine computergestützte Nachführung der Landeskarte möglich war und bedeutende Vorteile hatte: Zahlreiche aufwändige Zwischenschritte der analogen Nachführung – 60 bis 70 an der Zahl – entfielen bei der digitalen Methode.
Das Endprodukt war zwar weiterhin eine Papierkarte, der Weg dorthin wurde aber digitaler:
«Diese Art von computergestützter Kartographie ist nur eine graphische Bildverarbeitung mit einem anderen Werkzeug als der herkömmlichen Glasgravur und ergibt keinesfalls bereits eine neue digitale Karte.»
Mit dem Vorstoss Richtung Digitalisierung entsprach swisstopo auch Kundenwünschen. Dies bezeugen Martin Roggli, damals zuständig für die Abgabe von swisstopo-Produkten an externe Kundinnen und Kunden, sowie Martin Rickenbacher, einer der frühen Digital-Experten des Amtes, im Video.
Digitale Karten wurden bereits um 1990 stark nachgefragt – Geografische Informationssysteme (GIS) boomten. 1989 meldeten die Kantonspolizei Zürich und die REGA swisstopo, dass sie topografische Karten benötigten, die am Bildschirm angezeigt werden konnten. Parallel zu den Nachführungsversuchen Langnau, Romont und Winterthur fertigte swisstopo deshalb auch sogenannte Pixelkarten an. Die Pixelkarten waren Scans der Landeskartenblätter und mit diesen in Inhalt und Erscheinungsbild identisch. Ab 1995 waren alle Blätter der Landeskarte auch als Pixelkarten verfügbar.
Trotz der grossen Fortschritte wurden aber auch die Grenzen der Digitalisierung immer spürbarer: Es fehlte bei swisstopo an einschlägig ausgebildetem Personal, die Scitex-Hardware war Mitte der 1990er Jahre veraltet und mit der bestehenden Infrastruktur konnten Karten nur digital nachgeführt, nicht aber von Grund auf digital erstellt werden.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, rief swisstopo das Projekt Cadkarto ins Leben. Das Ziel war die Einführung eines CAD-Kartografiesystems (computer-aided design), mit dem sich Karten von Grund auf am Computer erstellen lassen:
«Das Vorhaben dient dazu, schrittweise die konventionelle Kartenherstellung durch digitale Produktionsverfahren zu ersetzen.»
Nach einem aufwändigen WTO-Beschaffungsverfahren fiel 1996 die Entscheidung: swisstopo schaffte Kartografiesysteme der Firmen Intergraph und HP/Lorienne an. Ab 2001 erfolgte die Nachführung der Landeskarten nur noch am Computer.
Der Zeitzeuge Lorenz Hurni war damals an der Auswahl des digitalen Kartografiesystems beteiligt und lehrt heute als Professor für Kartografie und Geoinformation an der ETH Zürich. Im Video erinnert er sich an die Beschaffung, die die swisstopo-Kartografie ins digitale Zeitalter katapultierte:
Die Digitalisierung ermöglichte neue Formen der Geoinformation. Die Produktpalette von swisstopo wurde dadurch immer vielfältiger.
Vector 25-Kartenebene zum Verkehrsnetz, Ausschnitt Zürich (swisstopo)
«Mit den wachsenden Fähigkeiten der Computer, grafische Daten zu verarbeiten, wachsen auch die Bedürfnisse der Kartenbenützer» – so beschrieb das Bieler Tagblatt 1988 das veränderte Umfeld von swisstopo. Immer mehr Kundinnen und Kunden äusserten ihren Bedarf an computertauglichen Raumdaten.
Auf den Datenhunger reagierte swisstopo nicht nur mit Pixelkarten, sondern auch mit einer Palette von ausschliesslich digitalen Modellen. Von zentraler Bedeutung waren das Geländemodell DHM25 und eine in Vektordaten umgewandelte Landeskarte (Vector 25). Beide Produkte wurden in aufwändigen Prozessen aus der Landeskarte 1:25 000 abgeleitet.
Bereits zu Beginn der 1980er Jahre war es eines der beiden Ziele des Projekts Dikart, ein digitales Geländemodell zu erstellen. 1984 begannen die Arbeiten an diesem Vorhaben, 1996 wurde das Digitale Höhenmodell 25 (DHM25) in einer ersten Version fertiggestellt. Die Begriffe Gelände- und Höhenmodell wurden damals synonym verwendet. Das DHM25 war das erste ausschliesslich digitale Produkt von swisstopo.
Das Modell entsprach einem Quadratgitter, das über die gesamte Schweiz gelegt wurde – jeder Punkt des Gitters war in der Realität 25 Meter von seinen Nachbarpunkten entfernt und wurde in seiner Lage (x, y) und Höhe (z) definiert.
Das Punktnetz schuf eine dichte, computertaugliche Beschreibung des Reliefs der Schweiz. Von der Lawinenwarnung über die Berechnung von Antennen-Standorten bis hin zur Feuerleitung der Artillerie waren zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten gegeben.
Martin Rickenbacher, der als Projektleiter des DHM25 wirkte, berichtet von den Herausforderungen, die das Vorhaben mit sich brachte:
Der entscheidende Impuls für die Erstellung von Vector 25 kam von der Schweizer Armee. 1995 nahm sie in Kriens ihren ersten Führungssimulator in Betrieb - er ermöglichte es, dynamische Konfliktsituationen realitätsnah durchzuspielen. Dafür waren wiederum digitale Geodaten erforderlich. 1995 begann swisstopo deshalb damit, Vektordaten aus der Landeskarte 1:25 000 abzuleiten: Kartenelemente wie Strassen, Flüsse, Wälder wurden digitalisiert und liessen sich zu einer flexiblen, zoombaren Karte zusammenfügen.
swisstopo war eine Vorreiterin der satellitenbasierten Vermessung. GPS brachte grosse Verbesserungen und machte die während Jahrhunderten praktizierte Triangulation obsolet.
Artist's global concept of the NAVSTAR Global Positioning System Satellite, Public Domain (1981).
Nicht nur die Kartenherstellung, sondern auch die geodätische Grundlagenvermessung wandelte sich zwischen 1980 und 2000 fundamental. Seit Jahrhunderten hatten Ingenieurinnen und Ingenieure die Winkel zwischen markanten Landschaftselementen wie Bergspitzen, Hügelkuppen oder Kirchtürmen gemessen, um deren Lage und Höhe zu errechnen. Es entstand ein über die gesamte Schweiz verteiltes Netz von Fixpunkten. Dieses Netz bildete das hochpräzise Gerüst der Landeskarten.
1985 begann auch in diesem Bereich ein Technikwandel: swisstopo begann, GPS zu nutzen, und nahm so eine Vorreiterrolle in Europa ein. Mit Schweden und dem Bundesland Niedersachsen, die in der geodätischen Grundlagenvermessung ebenfalls schon früh mit GPS arbeiteten, entstand ein reger Austausch.
Die interaktive Karte gibt einen Überblick über die Anfangsjahre der Satellitengeodäsie bei swisstopo:
Die Schweizerische Geodätische Kommission und swisstopo erstellten im Sommer 1985 ein erstes GPS-Testnetz. Es bestand aus acht Stationen und erstreckte sich über beide Seiten des Rhonetals. Fünf unterschiedliche GPS-Empfänger wurden getestet.
Bild: Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich, 1987
Bei Le Pont im waadtländischen Jura setzte swisstopo die Satellitengeodäsie ein, um zu messen, wie sich die dortige Erdoberfläche durch Erdbeben verändert hatte. Der Aufbau dieses lokalen Netzes wurde auch genutzt, um GPS-Operateure auszubilden.
Bild: Le Pont am Lac de Joux. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Photoramacolor AG / AIC_02-0F-504033-001 / CC BY-SA 4.0
Auf der Allmend in Thun testete swisstopo die Antennen der GPS-Empfänger. Sechs Stationen wurden mit einem Abstand von je 20 m aufgestellt. Dank diesen kurzen Abständen konnten die Ingenieurinnen und Ingenieure davon ausgehen, dass alle Antennen den gleichen atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt waren. Die feinen Messabweichungen, die sie feststellten, mussten also von den Geräten selbst stammen. So wurde es möglich, die Antennen miteinander zu kalibrieren.
Auch aus dem Ausland kamen GPS-Nutzende, um ihre Antennen auf der Teststrecke Thun zu kalibrieren. Sie war bis 2015 in Betrieb.
Bild: Arbeit am Thuner Testnetz; swisstopo Hauszeitung, 1988.
Bei Signau erstellte swisstopo ein weiteres lokales GPS-Messnetz. Damit wollte das Amt prüfen, ob die neue Technologie auch den Erfordernissen der feingliedrigen Triangulation IV. Ordnung (Grundbuchvermessung) entsprechen konnte. Die Resultate waren positiv.
Bild: Geodätin mit tragbarem GPS-Empfänger, 1995 (swisstopo Bildsammlung)
In der Geostation Zimmerwald befindet sich der erste Punkt der Schweiz, dessen Lage auf der Erdkugel mittels Satellitentechnologie bestimmt wurde. Diese Leistung des Astronomischen Instituts der Universität Bern war für swisstopo Gold wert: In den 1990er Jahren wurde Zimmerwald zum wichtigsten Bezugspunkt (Fundamentalpunkt) der neuen, satellitenbasierten Landesvermessung.
Bild: 50cm-Laser-Telemeter in der offenen Allsky-Kuppel des Observatoriums Zimmerwald um 1976 (Astronomisches Institut der Universität Bern AIUB)
Tests und erste Anwendungen hatten 1985-1988 gezeigt, dass die Satellitengeodäsie erhebliche Vorteile bot. swisstopo packte deshalb ein vermessungstechnisches Grossprojekt an: Zwischen 1989 und 1992 erstellten die Geodätinnen und Geodäten des Amts ein landesweites satellitenbasiertes Netz von 120 Fixpunkten.
Bis 1995 wurde das Netz auf 200 Punkte verdichtet - die Landesvermessung 1995 (LV95) war damit abgeschlossen. Sie ersetzte die im Laufe des 20. Jahrhunderts mittels Messungen vom Boden aus erstellte Landestriangulation und bildet seither die hochpräzise Grundlage unserer Landeskarten: Die Lage- und Höhengenauigkeit der einzelnen geodätischen Fixpunkte war dank der Hilfe aus dem Weltall rund 100-mal grösser (± 3 cm) als bei der bisherigen Landestriangulation (± 3 m).
Das Triangulationsnetz der Schweiz (Stand ~1960) und die Fixpunkte der satellitenbasierten LV95 (Stand 1991).
Adieu, Kletterei: Dank der GPS-Technologie konnten Fixpunkte an leichter zugänglichen Punkten installiert werden. Dies war bei der klassischen Triangulation noch anders, weil zwischen benachbarten Punkten eine Sichtverbindung bestehen musste. Zahllose Fixpunkte befanden sich deshalb auf schwer zugänglichen Berggipfeln, bis die Satellitentechnologie die Arbeit erleichterte.
Fixpunktvermessung auf dem Lauberhorn, 1954, und GPS-Fixpunktmessung im Zuge der LV95-Kampagne, 1995 (swisstopo Bildsammlung)
Instrumententransport damals und heute: Der Transport von Signalmaterial in den Voralpen wurde 1928 noch mit Pferden bewerkstelligt. Bei den ersten GPS-Testmessungen im Gebiet Turtmann kam 1985 das Auto zum Einsatz.
swisstopo Bildsammlung (links) und swisstopo Hauszeitung (rechts)
Adrian Wiget wirkte damals als Geodät bei swisstopo. Bei der Einführung der Satellitengeodäsie in der Landesvermessung war er eine der treibenden Kräfte. Im Video berichtet Adrian Wiget von den Anfangsjahren der Technologie bei swisstopo:
Im Rückblick erscheint die Digitalisierung bei swisstopo zielstrebig und durchgeplant. In Wirklichkeit gab es aber kein Drehbuch - der Weg zur digitalen Kartenproduktion musste laufend ertastet, evaluiert und nachjustiert werden.
swisstopo-Kartograf bei der Arbeit, 1999 (swisstopo Bildsammlung)
Zwischen 1980 und 2000 eroberte der Computer swisstopo. Rückblickend erscheint es so, als ob das Amt eine umfassende Digitalisierungsstrategie verfolgte: Von der Fixpunktvermessung über die Kartennachführung bis zur Vektorkarte wurden immer mehr Arbeitsschritte und Produkte computergerecht gestaltet.
Die Realität war jedoch nicht so linear, wie man vermuten könnte. Sie war von Fortschritten, Rückschlägen und viel Ausprobieren geprägt. Der Arbeitsaufwand, um digitale Geodaten zu erstellen, war und ist gewaltig.
Kurt Lüthi war einer der ersten Computerkartografen von swisstopo. In den 1980er Jahren erschloss er an der Scitex-Anlage die Welt der digitalen Kartografie. Im Video beschreiben Kurt Lüthi, Lorenz Hurni und Martin Rickenbacher aus erster Hand, wie sie die digitale Transformation bei swisstopo erlebt hatten: