Die Digitalisierung der Landestopografie (1960 - 1980)

Rechnen ist harte Arbeit. Mit mechanischen Hilfsmitteln versuchten Ingenieure der Landestopografie, den Aufwand zu reduzieren. Bis die elektronischen Computer die Grenzen des Berechenbaren verschoben.

Alois Zimmermann , technischer Gehilfe, bei Berechnungen mit Rechenschieber und Curta-Rechenmaschine, ca. 1950. Inv. Nr. 000-401-517

1. Kapitel

Auf der Suche nach Rechenhilfen

Bei ihrer Feldarbeit produzierten die Landesvermesser seit jeher eine grosse Menge an Daten. So massen sie Winkel, Distanzen und Höhenunterschiede zwischen einzelnen Punkten. Doch erst durch immense Rechenarbeit konnten diese Messdaten zu einer aussagekräftigen Wiedergabe der Schweizer Topografie verarbeitet werden. Bevor elektronische Computer ab den 1960er Jahren die Rechenarbeit erleichterten, setzten die Ingenieure der Landestopografie auf menschliche Fleissarbeit und mechanische Hilfsmittel.

Was ist das?

Was ist das?

Was ist das?

Zeitzeugen berichten:

Dieter Schneider, ab 1977 Ingenieur der Landestopografie, über die Feldarbeit ohne digitale Helfer

2. Kapitel

Der Siegeszug des Computers beginnt

Ab den 1950er Jahren eroberten elektronische Computer Orte, an denen es viel zu berechnen gab. Banken, Verwaltungen, Universitäten und andere Einrichtungen setzten auf ihre Dienste. In den 1960er Jahren begann auch die Landestopografie, elektronisch zu rechnen. Drei Computertypen, die sich gegenseitig ergänzten, kamen dabei zum Einsatz.

Rechenzentrum EMD

Rechenzentrum EMD

Am 8. Februar 1963 gab der Bundesrat dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) grünes Licht für einen wichtigen Schritt in die digitale Zukunft. Das EMD durfte mit dem IBM 360/50 seinen ersten elektronischen Grossrechner anschaffen. Die Landestopografie nutzte das «Rechenzentrum EMD» (RZ EMD) sogleich für ihre vielleicht aufwändigste Rechenaufgabe:  Die Ausgleichung trigonometrischer Netze konnten die Geodäten ab 1969 dem EMD-Grossrechner überlassen. 1968 hatten sie dafür eigens eine Software namens LTOP erstellt.

Bild: Der IBM 360/50 im Rechenzentrum des EMD, 1969. Schweizerisches Bundesarchiv, E5001G#1982/19#455* (Dossier: Rechenzentrum EMD 1950-1970), 1969.

Tischrechner

Tischrechner

Am Hauptsitz der Landestopografie in Wabern kamen Tischrechner zum Einsatz. 1967 nahm eine Wanderer Conti den Betrieb auf, die innert Sekundenbruchteilen bis zu 14-stellige Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren konnte. Das Rattern der nun obsoleten mechanischen Rechenmaschinen verschwand aus dem Büroalltag. Bis 1978 schaffte swisstopo zwei Hewlett-Packard-Tischrechner an. Sie konnten die in der Vermessung absolut zentralen Winkelfunktionen auf Knopfdruck berechnen und sparten deshalb zahllose menschliche Rechenstunden ein. Entsprechend begehrt waren die Modelle: Im Winter, wenn keine Feldarbeit möglich war und im Hauptsitz der Landestopografie gerechnet wurde, wanderte die HP 9100A oft dreimal täglich von Büro zu Büro.

Bild: der Tischrechner HP-97, 1976-1982. Instrumentensammlung swisstopo

Taschenrechner

Taschenrechner

Ab 1972 brachte Hewlett-Packard mit dem HP-35 den ersten wissenschaftlichen Taschenrechner auf den Markt. Dieser beherrschte die gleichen trigonometrischen Funktionen wie der ältere Tischrechner HP-9100A, war jedoch handlicher und daher feldtauglich. Dank Taschenrechnern konnten Ingenieurinnen und Ingenieure ihre Messungen im Feld sofort überprüfen, was aufwändige Nachmessungen seltener machte.

Bild: Der HP-65, Nachfolger des HP-35 ab 1974. Instrumentensammlung swisstopo

Im Arbeitsalltag hatte die Vielfalt von Taschenrechnern, Tischcomputern und Rechenzentrum aber einen Nachteil: Daten mussten von Hand von Gerät zu Gerät übertragen werden. Auch zwischen den einzelnen Tischrechnern und dem Rechenzentrum des EMD gab es keine elektronische Datenübertragung. Den Ingenieuren blieb nur das unermüdliche Eintippen und Wieder-Eintippen von Zahlen: Punktuell verursachte die Digitalisierung auch neue, bisher ungekannte Mühen.

Zeitzeugen berichten:

Dieter Schneider zur Bedeutung der ersten wissenschaftlichen Taschenrechner.

Elektronische Rechner entlasteten die menschlichen Rechner. Ein Teil der eingesparten Zeit musste jedoch für neue Aufgaben verwendet werden, die erst durch die Digitalisierung entstanden.

Berechnungen von Hand

Berechnungen von Hand

Im Gegensatz zu anderen Schritten der Kartenproduktion waren die Beobachtungen der Vermesser bereits in Zahlenform ausgedrückt und damit für Computer lesbar. «Der Computer hat sich in der Geodäsie aufgedrängt», lautete deshalb das Fazit eines Zeitgenossen.

Bild: Feldbuch der Ingenieure Jeanrichard und Gubler zum Schweizerischen Landesnivellement (Pfäffikon-Goldau-Basel-Olten), 1968

Lochkarten

Lochkarten

Damit der Computer Ausgleichsrechnungen durchführen konnte, mussten Lochkarten gestanzt werden und zum Rechenzentrum transportiert werden. Nach erfolgtem Rechenvorgang mussten die Resultate zurück zur Landestopografie nach Wabern gelangen. Diese Datenübertragung erfolgte meist in beiden Richtungen per Post, was jeweils zwei Arbeitstage Wartezeit bedeutete.

LTOP – das erste digitale Produkt der Landestopografie

LTOP – das erste digitale Produkt der Landestopografie

Arbeitsaufwand verursachte die Digitalisierung auch dadurch, dass sie spezialisierte Software erforderte. In den 1960er und 1970er Jahren mussten solche Programme meist noch von den Anwendern selbst geschrieben werden. Der Geodät und spätere swisstopo-Direktor Erich Gubler entwickelte 1968 das Programm LTOP. Es war auf die Ausgleichung trigonometrischer Netze ausgerichtet und ermöglichte es der Schweizer Geodäsie erstmals, mehrere Punkte eines trigonometrischen Netzes gleichzeitig auszugleichen, statt dies für jeden Punkt einzeln zu tun. Der Arbeitsaufwand für die Berechnungen reduzierte sich dank Erich Gublers Einsatz massiv, sodass LTOP als erstes digitales Produkt der Landestopografie stark nachgefragt war. Das Programm ist bis heute in erweiterter und angepasster Form in Verwendung.

Bild: Schematische Darstellung des Datenflusses von LTOP, 1979 

Zeitzeugen berichten:

Erich Gubler, ab 1967 Ingenieur bei der Landestopografie und 1998 - 2005 deren Direktor, berichtet über die Entwicklung von LTOP.

3. Kapitel

Ein digitales Relief für die Schweiz

Der EMD-Grossrechner IBM 360/50 sorgte für einen Digitalisierungsschub in der Armee und bei der Landestopografie. Dies zeigte sich nicht nur darin, dass aufwändige geodätische Berechnungen dem Computer überlassen wurden. Im Rechenzentrum entstand in den 1960er Jahren auch RIMINI, das erste digitale Höhenmodell der Schweiz.

Titelbild der Produktbeschreibung zu RIMINI

Zwischen 1966 und 1968 erarbeiteten 60 WK-Soldaten die für RIMINI erforderlichen Daten. Sie nutzten die Landeskarte 1:25 000 als Grundlage und legten ein transparentes Raster von 250 m Maschenweite darüber. Dieselbe Maschenweite wies auch das digitale Endprodukt auf. Für jeden Rasterpunkt erfassten sie eine Höhe, die sie den Höhenkurven und -koten der Landeskarte entnahmen: Im ersten digitalen Höhenmodell der Schweiz steckte viel Handarbeit, die auf 540'000 Lochkarten gespeichert wurde.

Studie über die Möglichkeiten der digitalen Speicherung der Topographie, 1969

«Digitalisierung ist die Darstellung eines nicht in Zahlen vorhandenen Ausgangsmaterials in Zahlenform.»

Das Projekt RIMINI war ein grosser Schritt in Richtung Zukunft. Erstmals wurde die Schweizer Topografie digitalisiert, also in computertaugliche Zahlen übersetzt und als Datenbank gespeichert. Bis in die 1990er Jahre leitete auch swisstopo digitale Geodaten aus analogen Karten ab, wie dies bereits bei RIMINI geschehen war. Um die Jahrtausendwende konnte man den Umweg über die analoge Karte eliminieren und stellte digitale Geodaten direkt aus den Luftbildern her.

4. Kapitel

Die Nachfrage nach digitalen Geodaten wächst

Im Laufe der 1970er Jahre wurden Computer immer leistungsfähiger und erschwinglicher. Die Nachfrage nach digitalen Raumdaten wuchs entsprechend. Im Jahr 1976 beschloss die Landestopografie deshalb, ihre elektronische Datenverarbeitung zu modernisieren. Ein Kernstück der «Reorganisation EDV» war der Computer PRIME 400, dessen Anschaffung 1978 bewilligt und durchgeführt wurde. Am 16. Mai überquerte der damals hochmoderne Rechner im Flugzeug den Atlantik, um schliesslich in Wabern bei Bern den Betrieb aufzunehmen.

Der PRIME 400 an der Landestopografie, nach 1978.

Zeitzeugen berichten:

Alessandro Carosio, Ingenieur und erster Leiter der Dienststelle EDV, über die Beschaffung des PRIME 400.

Für die Digitalisierung der amtlichen Kartenproduktion war das Jahr 1978 ein Quantensprung. Dies zeigte sich bereits in der Form der Datenübertragung: Der neue Rechner war über ein PTT-Modem mit dem Rechenzentrum des EMD verbunden. Das zeitintensive Hin- und Hersenden von Lochkarten und Rechenergebnissen per Post gehörte nun der Vergangenheit an. Vor allem schuf der PRIME 400 aber neue technische Möglichkeiten:

Fotogrammetrie

Fotogrammetrie

Der Leiter Fotogrammetrie Christoph Eidenbenz versah vier Auswertegeräte der fotografischen Messbilder, sogenannte Autografen, mit elektronischen Zählern und verband sie über eine Schnittstelle mit dem Computer. Eine amtsintern programmierte Software sorgte dafür, dass bei den Autografen aufgelegte Modelle automatisiert orientiert, also in Beziehung zu den bekannten Messdaten gebracht werden konnten. Diese innvoation bedeutete einen grossen Zeitgewinn. Das Ziel der Automatisierung mit dem PRIME war aber höhergesteckt: die bereits 1976 in einer Studie untersuchte Digitalisierung des Geländes mittels Fotogrammmetrie sollte endlich weiterverfolgt werden.

Bild: Studie zur Digitalisierung der Geländegeometrie, 1976.  

Administration

Administration

Bereits vor dem PRIME nutzte der administrative Dienst der Landestopografie das Rechenzentrum EMD für aufwendige Rechnungsabschlüsse. Der PRIME brachte eine weitere Neuerung mit sich, wenn auch nicht im Rechnungswesen: Mit dem Computer wurde eine Textverarbeitungssoftware geliefert, die das Unsichtbarmachen von Textkorrekturen – bei den damals gebräuchlichen elektronischen Schreibmaschinen noch eine grosse Kunst – plötzlich zu einem Kinderspiel machte. Auch bei der Erfassung der Arbeitszeit wurde digital gedacht: Ein Jahr vor der bundesweiten Einführung der Gleitarbeitszeit im Jahr 1980 führte die Landestopografie einen Versuch mit 20 Mitarbeitenden durch, programmiert und bedient auf dem PRIME.

Bild: Christine Studer an der Mitek V3, dem Eingabegerät des PRIME 4000, 1978.

Neues Höhenmodell

Neues Höhenmodell

Vonseiten der Armee und anderer Anwender wurde im Laufe der 1970er Jahre der Ruf nach einem engmaschigeren Höhenmodell der Schweiz lauter. «250x250  ist nicht mehr genügend», wie Divisionär Antoine Guisolan mit Verweis auf die Maschenweite von RIMINI betonte. Mithilfe des PRIME-Rechners sollte die Landestopografie deshalb ein digitales Höhenmodell mit einer Maschenweite von 10 bis 20 Metern erstellen. 1982 rief das Amt das Projekt «Dikart» ins Leben, das unter anderem zur Erstellung des Höhenmodells DHM25 führte (25 m Maschenweite).

Bild: Engmaschiger als noch bei RIMINI, die Perspektivdarstellung des DHM25 mit Blick von der Bundesterrasse auf die Berner Alpen. Titelbild Produktinformation DHM25, 2001

Zeitzeugen berichten:

Christine Studer und Christoph Eidenbenz zum Einsatz des PRIME in ihren damaligen Arbeitsfeldern.

5. Kapitel

Die Anfänge der digitalen Kartenproduktion

Für die Schweizer Kartenproduktion begann in den 1960er Jahren ein grundlegender Wandel. Zunächst wurden nur geodätische Berechnungen an den Computer delegiert; mit RIMINI folgte 1968 das erste digitale Höhenmodell der Schweiz. Damit war das Schweizer Relief erstmals – wenn auch rudimentär – digitalisiert.  

Entscheidend für die ersten Schritte in den digitalen Raum war die Verbindung von Menschen und Maschinen. Ohne elektronische Computer wie IBM 1401, HP 9100A oder PRIME 400 hätte die immense Rechenarbeit, die die Landesvermessung erfordert, weiterhin auf menschlichen Schultern gelastet. Ohne kluge, erfindungsreiche und auch improvisationsfreudige Menschen wären diese Maschinen jedoch bedeutungslose und platzraubende Gegenstände geblieben. Erst durch das Schreiben ausgeklügelter Programme, das Stanzen hunderttausender Lochkarten und indem man Geodaten computergerecht umformulierte (und somit digitalisierte), wurden die Rechner zu unverzichtbaren Pfeilern einer neuen Form der Kartenproduktion. Ein Autor hielt 1981 in der Mitarbeiterzeitung «TOPO» fest: «Ich glaube, die Zukunft beginnt in jedem Augenblick.»

Wie das Wechselspiel von innovationsfreudigen Menschen und unermüdlichen Computern bei swisstopo in den 1980er Jahren weiter Fahrt aufnahm, erfahren Sie im September 2023 in unserer nächsten Online-Ausstellung.

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