Messbilder als Zeitzeugnisse

16. Mai. 2022

Erstellung eines Luftbilds an Bord des Doppeldeckers Häfeli DH-5, 1930 (swisstopo Bildsammlung, 000-398-822)

Seit den 1910er Jahren fotografiert swisstopo die Schweiz zu Vermessungszwecken. Die so entstandenen Aufnahmen erweisen sich heute als wertvolles Landschaftsgedächtnis.

Messbilder sind seit rund hundert Jahren eine wichtige Grundlage der Landesvermessung. Es gibt deshalb keinen Winkel der Schweiz, der nicht wiederholt mit Luftbildern, terrestrischen Aufnahmen und Luftbildstreifen erfasst wurde. Als unbeabsichtigtes Nebenprodukt dieser unermüdlichen Vermessungsarbeiten entstand so ein historischer Schatz: Der riesige Bestand an Messbildern hilft uns heute dabei, die Veränderung der Schweiz zu beobachten und zu erforschen. Die folgenden drei Beispiele aus dem Bereich Umwelt und Landwirtschaft zeigen dies exemplarisch auf.

Kornhisten

Wir blicken auf eine terrestrische Aufnahme von 1916. Im Blick ist Sedrun mit dem Fluss Drun, der den Ort von Norden nach Süden in zwei Hälften trennt. 

Bei genauerem Hinschauen entdeckt man merkwürdige Holzgerüste vor zahlreichen Liegenschaften. Sie reichen meist bis unters Dach, sind mit Schrägstreben stabilisiert und stehen auf der Sonnenseite der Bauernhäuser. Bei diesen Konstruktionen handelt es sich um sogenannte Kornhisten, mit denen man im Alpenraum Weizen und andere Getreide nachreifen und trocknen liess. Im harten Gebirgsklima musste die Ernte oft früh eingebracht werden, weshalb man auf eine Möglichkeit zum Nachreifen angewiesen war. Ein kleines Giebeldach schützte das wertvolle Getreide vor Regen; zudem war die Ernte auf den hohen Gerüsten vor Mäusen und anderen hungrigen Nagern geschützt.

Heute sind Kornhisten im Alpenraum eine Seltenheit. Die terrestrischen Aufnahmen von swisstopo offenbaren jedoch, dass sie einst das Aussehen von Bergdörfern prägten: Getreideanbau war in den Schweizer Alpen noch bis weit ins 20. Jahrhunderts hinein üblich und Kornhisten entsprechend weit verbreitet. Insbesondere im Wallis, in der Leventina und im Bünderland setzten Bauern auf eigene, lokale Getreidequellen. Anders war dies in der Zentralschweiz, wo man sich bereits seit dem 14. Jahrhundert am norditalienischen Markt orientierte, von dort sein Getreide bezog und die Alpgebiete in erster Linie für die Viehzucht nutzte.

Obstbäume verschwinden

Zwei Luftbilder aus den Jahren 1935 und 1984 zeigen das Thurgauer Dorf Oberhofen. An der älteren Aufnahme fallen sofort die runden Objekte auf, die sich über die gesamte Fotografie verteilen: Auf den Feldern und Wiesen ausserhalb des Ortskerns sind stolze Obstbäume zu erkennen. Das Luftbild von 1984 zeigt hingegen eine andere Situation. Die Obstbäume sind an den meisten Stellen reinen Äckern gewichen.

Das Verschwinden der Obstbäume bei Oberhofen war kein Zufall. Zwischen 1950 und 1975 wurden allein im Kanton Thurgau rund eine halbe Million Obstbäume gefällt, in der ganzen Schweiz waren es wohl Millionen. Mit diesen grossflächigen Fällaktionen wollte die Eidgenössische Alkoholverwaltung die Landwirtschaft modernisieren und vor allem eine Überproduktion von Obst abwenden: Um 1950 konnten sich die kriegsgebeutelten Nachbarländer Schweizer Äpfel, Birnen und Kirschen kaum mehr leisten, zudem erstarkte die internationale Konkurrenz auf diesem Markt. Für die Versorgung der Schweizer Bevölkerung allein war die einheimische Obstproduktion zu gross, weshalb die bis heute umstrittene und auch als «Baummord» (Franco Ruault) bezeichnete Fällaktion ins Leben gerufen wurde.

Sciaga 1977 und 2020.

Waldwachstum

Kein Verschwinden von Bäumen lässt sich beim Tessiner Dörfchen Sciaga beobachten. Im Gegenteil: Mit dem swisstopo-Produkt «Zeitreise Luftbilder» lässt sich nachverfolgen, dass der Weiler 1977 noch von grossen gerodeten Flächen umgeben war, die die Bewohner von Sciaga landwirtschaftlich nutzten. Seitdem wuchs der Wald auf das Dorf zu und nahm immer mehr einstige Weideflächen in Beschlag. Wie viele abgelegene Bergdörfer war Sciaga von Abwanderung betroffen, die sich auch auf das Verhältnis von Wald- und Nutzfläche niederschlug.

Die Entwicklung des Umlands von Sciaga steht beispielhaft für einen grösseren Trend. Wie das Bundesamt für Statistik darlegt, wächst die «bestockte Fläche» der Schweiz bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals wurde es an immer mehr Orten möglich, Brennholz durch importierte Steinkohle zu ersetzen. Das Waldwachstum setzt sich auch in jüngerer Zeit und insbesondere in höheren Lagen fort. Zwischen 1985 und 2018 vergrösserten sich die bestockten Flächen des Landes um 589 km2, was einem Zuwachs von 5% entspricht.

Der Vergangenheit auf der Spur

Der grösste Teil der Bildsammlung von swisstopo ist bereits online gratis zugänglich. Dieser einzigartige Bestand ermöglicht einen Blick auf die Vergangenheit und schärft zugleich unser Verständnis der Gegenwart. Wenn Sie Lust auf eine Zeitreise haben, zögern Sie nicht, die unten verlinkten Werkzeuge zu erkunden!

Kopiere den Link oder klicke auf eines der Icons