Geheimhaltungshinweis auf der Festungskarte der Schweiz (Festungskarte Gotthard, Blatt 12, 1893). — © This document is protected by copyright laws
Geheime Karten, Verkaufsverbote und Retuschen im Kartenbild: Um Militärgeheimnisse zu schützen, wurden in der Schweizer Kartografie unterschiedliche Massnahmen ergriffen.
Seit jeher schützt die Schweizer Armee ihre wichtigsten Anlagen vor unerwünschten Blicken. Munitionsdepots wurden in Felswänden verborgen, Artilleriestellungen als Chalets getarnt, Rüstungsfabriken von dichtem Wald umgeben und Militärflugplätze mit Stacheldraht abgeschirmt. In der Kartografie führte diese Geheimhaltung zu einem Interessenkonflikt: Topografische Karten sollen die Erdoberfläche so wahrheitsgetreu wie möglich darstellen, gleichzeitig aber keine Militärgeheimnisse verraten. Im Lauf der Jahrzehnte fand die Landestopografie immer wieder neue Wege, um mit diesem Dilemma umzugehen.
Seit dem späten 19. Jahrhundert war die staatliche Kartenproduktion der Schweiz in einen öffentlichen und einen geheimen Zweig geteilt. Auf der einen Seite produzierte die Eidgenössische Landestopografie das damalige amtliche Kartenwerk, die Siegfriedkarte, in den Massstäben 1:50 000 zum Alpenraum und 1:25 000 zum Rest des Landes. Diese Karten waren im Verkauf frei erhältlich. Auf der anderen Seite erstellte das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) zwischen 1888 und 1952 geheime Festungskarten. Im Gegensatz zur Siegfriedkarte deckten sie nicht das gesamte Land ab, sondern beschränkten sich auf die sogenannten Festungsgebiete, also strategisch wichtige Räume wie den Gotthardpass oder das Rhoneknie. Insbesondere für die präzise Berechnung von Schussbahnen der Artillerie war ihr grosser Massstab von 1:10 000 unverzichtbar.
Andermatt im Jahr 1921 in der Siegfriedkarte 1:50 000 (links) und in der weitaus detaillierteren, aber geheimen Festungskarte 1:10 000 (1926).
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zeigten sich erste Risse in dieser Trennung von geheimer und öffentlicher Kartografie. Ab 1904 hatte die Landestopografie vier Kartenblätter des Rhonetals veröffentlicht, die nicht wie für Berggebiete üblich in 1:50 000 gehalten waren, sondern den weitaus detaillierteren Massstab 1:25 000 aufwiesen. Pikant daran war, dass diese frei erhältlichen Karten auch das Gelände um St. Maurice zeigten, wo sich eine der wichtigsten schweizerischen Festungsanlagen befand. Als sich die Lage in Europa vor dem Ersten Weltkrieg zuspitzte, erkannte das EMD darin ein Sicherheitsrisiko, das von anderen Staaten ausgenutzt werden könnte: 1913 verbot es den Verkauf der vier Kartenblätter.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 erweiterte das EMD die Verkaufsrestriktionen fortlaufend auf weitere Kartenblätter. Zwischen 1917 und 1919 war für den Kauf aller amtlichen Karten eine Bewilligung nötig. Die Gefahr, einem potenziellen Angreifer unfreiwillig sensible Geländedaten bereitzustellen, war zu gross.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Geheimhaltungsfrage erneut zentral. Im September 1939, drei Wochen nach Kriegsausbruch, stellte der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee Henri Guisan fest, «dass von gewisser Seite für schweizerische Kartenwerke […] ein Interesse besteht, das zum Aufsehen mahnt.» Diese Beobachtung kam nicht von Ungefähr: Bereits im Mai 1939 hatte der schweizerische Generalstab die deutsche Wehrmacht verdächtigt, über eine Berliner Tarnadresse gezielt Schweizer Kartenwerke zu bestellen. Ausserdem bemängelte Guisan, dass die Schweizer Kartenvorräte «für ausserordentliche Bedürfnisse des Nachschubs nicht genügen, nicht einmal für die Abgabe einer zweiten Garnitur neuer Karten an die berechtigten Stäbe und Einheiten.» Ohne Raumwissen keine Kriegführung – im Sinne der Verteidigungsbereitschaft sollte deshalb jede verfügbare Karte eingezogen und der Armee übergeben werden.
Im Oktober 1939 reagierte der Bundesrat auf die Kartenknappheit und das Geheimhaltungsproblem, indem er den inländischen Verkauf und den Export aller Karten der Schweiz mit einem Massstab von 1:1 000 000 oder grösser untersagte. Auch in Büchern, Zeitungen und sogar auf Postkarten wurde die Wiedergabe von Geländeinformationen verboten. Diese Massnahme kam einer umfassenden Kartenzensur gleich und wurde erst nach Kriegsende im Sommer 1945 wieder aufgehoben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der Umgang mit sensiblen raumbezogenen Daten. Die Produktion der geheimen Festungskarten wurde 1952 eingestellt und es erfolgten keine neuen Verkaufsverbote für öffentliche Kartenwerke: Die Siegfriedkarte und ihr Nachfolgerwerk, die seit 1938 erscheinende Landeskarte, waren ab 1945 im Verkauf vollständig und frei erhältlich. Das war nicht nur dem Frieden in Europa geschuldet – es hatte sich auch die Erkenntnis breit gemacht, dass Verkaufsverbote andere Staaten kaum daran hindern konnten, an das gewünschte Kartenmaterial zu gelangen.
Die kartografische Geheimhaltungsstrategie nach 1945 fokussierte sich darauf, wichtige militärische Anlagen im Kartenbild gezielt zu verbergen. Militärflugplätze, Panzersperren, Rüstungsfabriken und viele weitere strategisch relevante Objekte verschwanden aus den Karten. Diese Praxis fand in der Landeskarte bereits seit 1938 Anwendung, nun wurde sie zum Königsweg der kartografischen Geheimhaltung.
Die Gebäude des Festungskomplexes bei Dailly (VD) waren in der Siegfriedkarte von 1940 noch eingezeichnet, in der Erstausgabe der Landeskarte 1:25 000 von 1962 wurden sie getilgt. Die Anlage wurde 1995 aufgegeben.
Indem sensible Objekte aus den Karten verschwanden, schien die Geheimhaltungsfrage fürs Erste geklärt. Doch schon bald entstanden Diskussionen zur Frage, was genau zu verbergen sei und was nicht. Eine Objektgruppe sorgte in den 1970er Jahren für besonderes Kopfzerbrechen: Bei zivil getarnten militärischen Anlagen, beispielsweise einer Artilleriestellung im Gewand eines Chalets, konnte die kartografische Geheimhaltung das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich beabsichtigte. War das Chalet für einen Spion vor Ort sichtbar, fehlte aber in der Landeskarte, war es erst recht als militärisches Objekt markiert. Ab 1978 wurden solche Anlagen deshalb wieder in die Karte eingezeichnet.
Der Maschinengewehrbunker der Festung Fuchsegg unterhalb des Furkapasses war zivil getarnt und deshalb nur bis 1978 ein Kartengeheimnis (Gebäudesignatur oberhalb der Höhenkote «1861»). Landeskarte 1:25 000, Blatt 1231 «Urseren», 1975 und 1980.
Das Jahr 1978 war aber nicht nur für das Auftauchen, sondern auch für das Abtauchen eines Kartenelements verantwortlich. In den 1970er Jahren war die Terrorgefahr in der Schweiz markant gestiegen. Druckstollen von Wasserkraftwerken wurden deshalb aus den Karten getilgt – ihre Einzeichnung sollte Sabotageakte nicht unnötig erleichtern. Die Geheimhaltung von Druckstollen im Kartenbild wurde bis zur Jahrtausendwende aufrechterhalten.
Mit der Nachführung der Karte verschwand auch beim Klöntalersee die Druckleitung aus der Karte (blau gestrichelte Linie). Landeskarte 1:50 000, Blatt 236 «Lachen», 1971 und 1989.
Bereits während des Kalten Krieges wurden Stimmen laut, die die Wirksamkeit kartografischer Geheimhaltung anzweifelten. Den entscheidenden Impuls für eine Anpassung der Praxis gab schliesslich der technische Fortschritt: Die Fernerkundung mittels Satelliten war um 1990 so ausgereift, dass das Verbergen von Objekten in den Karten immer weniger Sinn machte. Das weitere Verbergen hätte sogar einen gegenteiligen Effekt gehabt und die Aufmerksamkeit genau auf diejenigen Objekte gelenkt, die in der Karte fehlten. Entsprechend wurden ab 1991 neue Verordnungen und Richtlinien geschaffen, die sich am sogenannten Wahrnehmungsprinzip orientierten. Es besagt, dass Anlagen, die an der Erdoberfläche wahrnehmbar sind, auch in der Karte erscheinen sollen. Diese Regelung erwies sich als tragfähig: Das Wahrnehmungsprinzip gilt bis heute.