1951 schwirrten Vermessungsflugzeuge der US Air Force über den Mount McKinley, den mit 6190 m ü.M. höchsten Berg Nordamerikas. Sie erstellten Luftbilder des gesamten McKinley-Massivs in im Landesinneren Alaskas. Als treibende Kraft hinter den Vermessungsarbeiten stand Henry Bradford Washburn (1910–2007). Der Alpinist, Fotograf, Kartograf und Direktor des Boston Museum of Science hatte an dem Berg einen Narren gefressen. Immer wieder unternahm er Touren am Mount McKinley, den seine Gattin Barbara 1947 als erste Frau bestiegen hatte.
Die 1951 und 1955 bei Bildflügen der US Air Force entstandenen Luftbilder wollte Washburn als Grundlage für eine topografische Karte des Mount McKinley nutzen. Seine Ansprüche waren hoch: Das Werk sollte genau, detailtreu und ästhetisch ansprechend sein; am wichtigsten war ihm jedoch die gekonnte Felsdarstellung. Aus diesem Grund wandte sich der Amerikaner Mitte der 1950er Jahre an die Schweizer Stiftung für Alpine Forschungen und die Abteilung für Landestopographie (heute swisstopo). Wie er 1957 bezeugte, wollte er die Fertigkeiten der «herausragenden Schweizer Kartografen» für die McKinley-Karte nutzen und deren Erscheinungsbild an dasjenige der Schweizer Landeskarten anlehnen. 1961 erklärte Washburn im Rückblick:
"Immer wieder wurde ich gefragt, 'Warum um Himmels Willen lässt du deine Karte in der Schweiz herstellen?' […] Es ist meine Überzeugung, dass kein anderes Land in der Welt – genau genommen, sogar kein anderes Team von Kartografen in der Schweiz – an die Arbeit herankommen könnte, die Wild und die Landestopografie leisten."
Auch die fotogrammetrische Auswertung der Luftbilder auf 12 Auswerteplatten im Massstab 1:20 000 wollte Washburn in der Schweiz umsetzen lassen. Mit Othmar Wey, einer Koryphäe der Fotogrammetrie, fand der umtriebige Amerikaner bei der Firma Wild Heerbrugg einen idealen Partner.
Die Kosten für das aufwändige Projekt, die sich auf rund 123'000 Franken beliefen, wurden zu 80 % von Washburns Museum und anderen amerikanischen Spendern und Institutionen getragen.
Triangulationsnetz der McKinley-Region, 1953 (Ausschnitt). Auch zu den geodätischen Grundlagen der McKinley-Karte trug Bradford Washburn wesentlich bei: die schwarzen Dreiecke bezeichnen Triangulationspunkte, die er auf seinen zahlreichen Berggängen selbst ausgemessen hatte. Weisse Dreiecke mit Punkt geben Triangulationspunkte der staatlichen U.S. Coast and Geodetic Survey wieder.
Vom Beginn der Auswertungs-, Zeichnungs- und Gravurarbeiten (1957) bis zur Publikation der McKinley-Karte (1960) stand Bradford Washburn in regelmässigem Kontakt mit den Mitarbeitenden der Landestopografie und den Fotogrammetrie-Operateuren von Wild Heerbrugg. Bei der Landestopografie waren der Reliefexperte Paul Witzler, der Felsgraveur Paul Ulmer und der Chef der fotografischen Abteilung, Daniel Chervet, die wichtigsten Ansprechpersonen des Amerikaners. Meist erfolgte dieser Austausch mittels Luftpost-Briefen, in dringenden Fällen mit Telegrammen. Für die unmittelbare Zusammenarbeit weilte Washburn zudem 1957, 1958 und 1960 am Hauptsitz der Landestopografie in Wabern bei Bern. 1959 war er mit Barbara Washburn am Mount McKinley unterwegs, wo sie letzte Rekognoszierungen zu einzelnen Kartendetails durchführten.
Regelmässig wurden Probedrucke der jüngsten Fortschritte in Auswertung, Zeichnung und Gravur von Heerbrugg und Wabern nach Boston geschickt. Washburn analysierte sie jeweils akribisch und glich sie mit Orthofotos und Schrägaufnahmen ab. Anschliessend retournierte er die Probedrucke mit aufmerksamer Detailkritik an die Schweizer Partner. Stets äusserte Washburn aber auch seine grosse Bewunderung dafür, in welch hoher Qualität die Arbeiten fortschritten. So bekundete er in einem Brief vom 4. Juni 1959 gegenüber Daniel Chervet seine Verwunderung über die ausserordentliche Genauigkeit von Paul Ulmers Übersetzung der Luftbilder in eine so exakte wie schöne Felsdarstellung: «Ich kann einfach nicht verstehen, wie er dazu fähig gewesen ist, eine so ausserordentlich komplizierte und verzwickte Interpretationsarbeit mit nur einem halben Dutzend Fehlern umzusetzen.»
Für das Gelingen des Kartierungsprojekts war der gute Austausch zwischen Boston, Heerbrugg und Wabern unverzichtbar. Dies nicht zuletzt, weil Bradford Washburn die einzige Person war, die über direkte Raumerfahrung im McKinley-Gebiet verfügte. Er fungierte als die Augen und Ohren des Projekts vor Ort. Entsprechend zahlreich waren die Kartenelemente, die von seiner individuellen Wahrnehmung der Gegend geprägt waren. So war es Washburn beispielsweise wichtig, dass die Gebiete mit Vegetation am nördlichen Kartenrand in einem starken Grün erschienen. Dies schlug er 1958 in einem Brief an Paul Ulmer vor:
"Ein karges, felsiges Tal [in Alaska] ist leblos und armselig zum Leben. Ein grasbewachsenes Tal (auch wenn es keine Bäume gibt) ist ein himmlischer Ort, und ich glaube, dass wir dies […] zeigen müssen."
Auch Washburns Erfahrung als McKinley-Besteiger floss ins Kartenbild ein. Dies zeigte sich beispielsweise 1959 in einer Rückmeldung zu Paul Ulmers Felsdarstellung:
"[Ich bin] der Meinung, dass die Details der Felsvorsprünge, die vom N. Peak zum Harper Glacier hinunterführen, möglichst genau wie die echten Vorsprünge aussehen sollten [...], da dies die Hauptroute auf den Berg ist und bei schlechtem Wetter oft die genaue Identifizierung der unteren Spitzen dieser Vorsprünge die einzige Möglichkeit ist, zu wissen, wo man sich befindet!"
Ein wichtiges Detail der McKinley-Karte befindet sich am unteren Rand der Karte: «Diese Karte zeigt den Vergletscherungszustand von 1951». Dies ist deshalb bedeutsam, weil sich die Gletscherwelt rund um den Mount McKinley im Jahr 1957 stark veränderte: Die Fliessgeschwindigkeit der Gletscher war in jenem Jahr ungleich höher als in den Jahren davor und danach. Dies führte zu zahllosen neuen Gletscherspalten sowie zu einer deutlich veränderten Form der Eiszungen. Auch die Meereshöhe der Gletscheroberfläche veränderte sich. So sank der Muldrow-Gletscher nahe des Mount McKinley laut Washburn um 200 Fuss (rund 61 Meter) ab. Die Verwerfungen bedeuteten, dass sich ein sogenannter glazialer «Surge» zugetragen hatte. Solche Surges finden in Alaska zyklisch in jahrzehntelangen Abständen statt – 2021 wiederholt sich das Phänomen erstmals seit 1957. Im April 1959 beschrieb Bradford Washburn die Auswirkungen des Surge in einem Brief an Paul Ulmer: "[D]er untere Muldrow-Gletscher ist in weiten Teilen immer noch praktisch unpassierbar, wo man vor sieben Jahren noch fast mit dem Fahrrad auf dem Eis hätte fahren können!"
Für Washburn stand fest, dass die Erfassung der Gletscher kurz vor deren plötzlicher Veränderung von grosser wissenschaftlicher Bedeutung war. Bewusst verzichtete er auf die Nachführung der Gletscher mittels aktueller Luftbilder. Gegenüber dem Direktor der Schweizer Stiftung für Alpine Forschungen, Othmar Gurtner, betonte er 1958: «Unsere Karte wird von unmittelbarem und höchstem geologischem Wert sein, indem sie den exakten Status Quo der Gletscherspalten und Moränen vor der dramatischen Veränderung aufzeigt, die die Gletscher des McKinley in den letzten Jahren so sehr verändert hat.»
Nach drei Jahren intensiven Austauschs mit Briefen, Telegrammen und persönlichen Begegnungen war es im Juli 1960 soweit: Die Landestopografie druckte die McKinley-Karte in Wabern bei Bern. Die Auflage betrug 31'642 Exemplare, wovon gut ein Drittel an das Boston Museum of Science und damit auf den US-amerikanischen Markt gelangten. Bradford Washburn reiste eigens für diesen grossen Moment von Boston in die Schweiz. Er wollte dem Druck beiwohnen und bei letzten Korrekturen, insbesondere bei der Farbgebung, ein letztes Mal mitreden.
Das nach rund zehn Jahren harter Arbeit entstandene Produkt konnte sich sehen lassen: Es war auf den ersten Blick einer Schweizer Landeskarte zum Verwechseln ähnlich. Der Blick ins Detail relativierte diesen Eindruck jedoch. So war die McKinley-Karte beispielsweise in stärkeren, lebendigeren Farben gehalten als die Landeskarten und die Höhenangaben erfolgten in Fuss statt in Metern. Auch der Karteninhalt konnte aus keiner Landeskarte stammen: Wie der Direktor der Landestopografie Ernst Huber 1960 hervorhob, existiert in Europa kein Landstrich, «in dem sich Fels und Eis zu einer ein so ausgedehntes Gebiet umfassenden Gletscherwelt vereinigt haben.» Im Hinblick auf die verbindende Kraft der Karte hoffte er: «Wenn es uns gelungen ist, unseren amerikanischen Kameraden ihre eigene, grossartige Gebirgswelt näher zu bringen, so hat unsere viele tausend Stunden zählende Mitarbeit ihr Ziel erreicht.»