Lesotho gehört zu den höchstgelegenen Ländern der Welt: An keiner Stelle des «Dachs Afrikas» befindet man sich tiefer als 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Als Berg- und Binnenland weist das Königreich viele topografische Ähnlichkeiten zur Schweiz auf - vielleicht war auch dies ein Grund dafür, dass 1985 eine lesothisch-schweizerische Zusammenarbeit in der Kartenproduktion zustande kam.
Zwischen 1985 und 1994 unterstützten Angestellte der Landestopografie das lesothische Department of Lands, Surveys & Physical Planning (LSPP) beim Aufbau einer eigenständigen Kartenproduktion. Dafür reisten sie wiederholt in den Süden Afrikas, teilten ihr Know-How und berieten das LSPP bei der Anschaffung neuer Instrumente. Den Aufbau eines zeitgemässen Geräteparks unterstützte die Eidgenossenschaft auch finanziell. Zwischen 1993 und 1996 absolvierten zudem zwei Kartografen und eine Kartografin aus Lesotho einen Teil ihrer Ausbildung bei der Landestopografie in Wabern bei Bern.
Die Unterstützung der lesothischen Kartenproduktion führte unter anderem zur ersten Nachführung der stark veralteten Generalkarte Lesothos (1:250 000). Doch wie kam es überhaupt zu dieser kartografischen Zusammenarbeit der beiden Bergländer?
Um zu verstehen, wie es zum Engagement der Schweiz in der lesothischen Kartografie kam, ist ein Blick auf die jüngere Geschichte des Landes erforderlich. Lesotho war seit 1884 eine britische Kronkolonie und erlangte 1966 die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich. Mit der formellen Unabhängigkeit liessen sich koloniale Abhängigkeitsverhältnisse jedoch nicht über Nacht überwinden: Auf wirtschaftlicher und technologischer Ebene war Lesotho weiterhin stark auf das Vereinigte Königreich angewiesen. Dies zeigte sich unter anderem in der Kartenproduktion des Landes: Auch nach 1966 führte das britische Directorate of Overseas Surveys (DOS) wesentliche kartografische Produktionsschritte für Lesotho aus. Die Auswertung von Bodenvermessungen und Luftaufnahmen und sogar der Druck der Karten fanden in England statt.
Um im Bereich der Landesvermessung wahre Souveränität zu erlangen, arbeitete die Regierung Lesothos seit 1975 darauf hin, die Kartenproduktion vollständig vor Ort durchzuführen. Ursprünglich war vorgesehen, dass das Vereinigte Königreich die ehemalige Kronkolonie bei diesem Vorhaben finanziell und fachlich unterstützt. Aufgrund der starken Inflation um 1980 und im Zuge einer grundlegenden Neuausrichtung der britischen Wirtschafts- und Entwicklungspolitik strich die Regierung Margaret Thatchers diese Unterstützung für Lesotho jedoch gänzlich: Per Anfang 1986 verliessen alle Experten des DOS das südafrikanische Königreich.
Nicht nur vom Vereinigten Königreich, sondern auch von der Republik Südafrika war Lesotho um 1985 in hohem Masse abhängig. Ein Blick auf die Karte klärt schnell, weshalb dem so war: Das Königreich liegt vollständig innerhalb Südafrikas. Zahlreiche Lesother arbeiteten in südafrikanischen Minen und trugen mit ihren vergleichsweise hohen Gehältern wesentlich zu den Finanzen ihres Heimatlandes bei. Zudem musste jedes Produkt, das Lesotho nicht selbst produzierte, durch einen südafrikanischen Hafen und über südafrikanische Strassen oder Schienen ins Land gelangen, was eine enorme Abhängigkeit vom grossen Nachbarn schuf.
Das Verhältnis zwischen Lesotho und Südafrika war von Spannungen und Konflikten geprägt: In Südafrika erhielt eine weisse Minderheitsregierung bis in die frühen 1990er Jahre das rassistische Apartheid-Regime aufrecht. Weil die Regierung Lesothos die Anti-Apartheid-Bewegung im Nachbarland unterstützte, kam es 1982/1983 zu südafrikanischen Militäraktionen und Sanktionen gegen Lesotho. Diese Entwicklungen steigerten die Dringlichkeit, das Königreich in so vielen Bereichen wie möglich von Südafrika unabhängig zu machen – vor allem aber in der Landwirtschaft, die für die Mehrheit der Lesother die Lebensgrundlage darstellte.
Um mehr wirtschaftliche Eigenständigkeit zu erlangen, setzte die Regierung Lesothos vor allem auf eine Intensivierung und Modernisierung der Landwirtschaft. Als Grundlage für die Planung der Landnutzung waren Geodaten unerlässlich. Ein auf Luftbildern basierendes Kataster sollte Rechtssicherheit für Investitionen schaffen und dabei helfen, die Wasserversorgung des Landes zu verbessern.
Der Wunsch nach staatlicher Souveränität in der Landesvermessung, der Abzug der britischen Vermessungsbeamten und das Bestreben, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom südafrikanischen Apartheid-Staat zu mindern, waren die zentralen Beweggründe für Lesothos Bemühungen um eine eigene Kartenproduktion. Dass jedoch ausgerechnet die Schweiz in die Bresche sprang, die der Rückzug der britischen DOS erschaffen hatte, war kein Zufall: Seit 1978 war die eidgenössische Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH, heute DEZA) an einem Projekt zur Verbesserung der ländlichen Wasserversorgung in Lesotho beteiligt. In diesem Vorhaben spielte zuverlässiges Kartenmaterial eine zentrale Rolle. Die entsprechenden Kommunikationskanäle zwischen der lesothischen Regierung, der Schweizer Botschaft und der DEH bestanden also bereits, auch eine Verbindung zur Kartografie war durch die Natur des Wasserprojektes gegeben.
Unter Federführung der DEH und mit Beteiligung der Landestopografie bewegte sich zwischen 1985 und 1994 viel in der lesothischen Kartografie: Personal wurde vor Ort und in der Schweiz geschult, ein neues Auswertegerät und andere Instrumente angeschafft, ein Reproduktionslabor eingerichtet und auf einen eigenständigen Kartendruck hingearbeitet. Unter anderem verbesserten lesothische und Schweizer Ingenieure das Fixpunktnetz des Landes, erstellten eine Karte der Hauptstadt Maseru und führten die wichtige 1:250 000er Karte nach.
Wie nachhaltig die Unterstützung durch Schweizer Experten die lesothische Kartografie stärkte, ist zwar schwer zu ermitteln. Tatsache ist aber, dass zwischen 1985 und 1994 grosse Bemühungen um eine eigenständige Kartenproduktion auf dem Dach Afrikas stattfanden, die nicht zuletzt auch vom starkem persönlichem Engagement der Beteiligten geprägt waren.