Am 24. August 1914 erhielt die Abteilung für Landestopographie eine Mitteilung des Territorialdienstes der Armee. «Als neuer Standort ist für Ihre Abteilung Einsiedeln vorgesehen», hiess es in dem Schreiben. Gemeint war die Verlegung der Landestopografie im Kriegsfall: Sollte eine feindliche Macht die Schweiz angreifen, müsse die Evakuation der amtlichen Kartenproduktion innerhalb von 24 Stunden bewerkstelligt werden, so das Schreiben.
Der Zeitpunkt der Mitteilung war kein Zufall. Rund vier Wochen zuvor, am 28. Juli 1914, hatte der Erste Weltkrieg mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien seinen Anfang genommen. In Westeuropa begann der Krieg ebenfalls umgehend zu wüten: Um französische Verteidigungslinien zu umgehen, griffen deutsche Truppen am 3. August 1914 Belgien an und besetzten den Benelux-Staat bis Mitte Oktober vollständig. Diese Entwicklung war auch für die Schweiz bedeutungsvoll. Erstens hatte die aussenpolitische Neutralität – eine Gemeinsamkeit Belgiens und der Schweiz zu dieser Zeit – das Land nicht vor dem Krieg geschützt. Zweitens eignete sich das Schweizer Mittelland, ähnlich wie Belgien, als Durchmarschraum für französische oder deutsche Truppen. Diese standen sich bald vom Elsass bis an die Nordsee entlang einer kaum beweglichen Front gegenüber. Die Furcht vor einer Invasion der Schweiz, die am Rhein oder am Doubs ihren Anfang nehmen könnte, war deshalb gross.
Die damals im Berner Stadtteil Kirchenfeld beheimatete Landestopografie aus der Schusslinie zu holen, war von grösster strategischer Bedeutung: Ohne Kartenmaterial war kein Verteidigungskrieg zu führen. Ab August 1914 intensivierten das Territorialkommando der Armee und die Landestopografie deshalb die Evakuationsplanung. Dabei standen drei Fragen im Zentrum: Wohin sollte die Abteilung evakuiert werden? Was konnte und sollte in Sicherheit gebracht werden? Und wie liess sich gewährleisten, dass diese dramatische Zügelaktion zügig und reibungslos vonstattengeht?
Die damals im Berner Stadtteil Kirchenfeld beheimatete Landestopografie aus der Schusslinie zu holen, war von grösster strategischer Bedeutung: Ohne Kartenmaterial war kein Verteidigungskrieg zu führen. Ab August 1914 intensivierten das Territorialkommando der Armee und die Landestopografie deshalb die Evakuationsplanung. Dabei standen drei Fragen im Zentrum: Wohin sollte die Abteilung evakuiert werden? Was konnte und sollte in Sicherheit gebracht werden? Und wie liess sich gewährleisten, dass diese dramatische Zügelaktion zügig und reibungslos vonstattengeht?
Die Anweisung des Chefs des Generalstabes war eindeutig: «Bei einem Einbruch fremder Heere, sei es von Norden oder von Westen, muss die Anstalt der ‘Landestopographie’ von Bern entfernt und in ein weniger bedrohtes Gebiet gebracht werden.» Die Antwort auf die Frage, wohin die Landestopografie zu evakuieren sei, veränderte sich im Verlauf des Krieges jedoch mehrmals. Die 1914 noch bevorzugte Option Einsiedeln wurde spätestens 1916 fallen gelassen und andere Evakuationsorte rückten in den Fokus. Grund dafür war, dass in der Innerschweizer Klosterstadt nur zwei grossformatige Druckpressen zur Verfügung standen – zu wenig, um die Schweizer Armee ausreichend mit Kartenmaterial zu versorgen. Überhaupt waren die Druckmaschinen die Achillesferse der Evakuationsplanung. Sie waren zu gross, um sie in einer Nacht- und Nebelaktion auseinanderzubauen, abzutransportieren und andernorts wieder zusammenzubauen. Für die Frage, wohin die Landestopografie zu evakuieren sei, war deshalb mitentscheidend, dass der Zielort bereits über eine potente Druck-Infrastruktur verfügte.
Für den Fall eines deutschen oder französischen Einmarschs plante die Landestopografie ab 1916 mit separaten Szenarien: Gemäss der Planung von 1916 wäre bei einer deutschen Invasion nach Genf, bei einer französischen nach St. Gallen evakuiert worden. Dies änderte sich im April 1917, als das Eidgenössische Militärdepartement neu Vevey oder Zürich als Zielorte bestimmte.
Was diese vier Städte miteinander verband, war ihre gut ausgebaute Druckerei-Infrastruktur. Zudem boten sie sich durch ihre geografische Lage an. St. Gallen, Genf und Vevey lagen ausserhalb des kürzesten Weges von Deutschland über die Schweiz nach Frankreich oder umgekehrt. Dass die deutlich stärker gefährdete Limmatstadt ebenfalls in Betracht gezogen wurde, war wohl in erster Linie ihrer beachtlichen Druckereilandschaft geschuldet: 20 Pressen in geeignetem Format waren dort vorhanden.
Für die Detailplanung und Leitung einer allfälligen Evakuation der Landestopografie war der Topograf Simon Simonett (1873–1940) verantwortlich. Vom Militärdienst war der ehemalige Lieutenant des Genies wegen eines körperlichen Leidens freigestellt, weshalb er sich trotz der Mobilmachung vom 1. August 1914 ganz der Vorbereitung der Rettungsaktion widmen konnte.
Zunächst galt es zu bestimmen, welche Objekte bei einer kriegsbedingten Verlegung der Landestopografie unbedingt an den Zielort gelangen mussten. Bei dieser Frage ging es in erster Linie um Druckplatten aus Kupfer oder Stein, fotografische Glasplatten, Kartenmaterial und Druckpapier. Absolute Priorität genossen die Druckplatten der kriegsrelevanten Festungskarten und ausgewählte Gebirgsblätter der Siegfriedkarte. Doch nicht allein die Bedeutung der Objekte, sondern auch deren Gewicht spielte eine Rolle: Die vergleichsweise leichten Kupferplatten (Dufourkarte und Teile der Siegfriedkarte) waren einfacher zu transportieren und wären deshalb vollständig evakuiert worden. Die Lithografiesteine, die vor allem die Gebirgsblätter der Siegfriedkarte enthielten, waren hingegen äusserst schwer. Sie waren in so grosser Zahl wie möglich zu evakuieren, Priorität genossen aber bestimmte Abschnitte des Alpenraums. Für den Fall, dass man wegen deren Gewicht Drucksteine in Bern zurücklassen musste, war zu verhindern, dass diese in Feindeshand geraten: Sie wären «durch Abschleifen der Druckseite unbrauchbar gemacht» worden, wie es der Direktor der Landestopografie bereits 1902 bestimmt hatte.
Wie Kupferplatten, Lithografiesteine, Druckpapier, Instrumente, Karten und nicht zuletzt das Personal vom Berner Kirchenfeld an den Zielort der Evakuation gelangen sollten, war Gegenstand akribischer Planung. Im Mai 1917 sah sie wie folgt aus: Achtzig einberufene Hilfsdienstpflichtige sowie die nicht dienstpflichtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landestopografie verladen die Transportgegenstände möglichst zügig auf zehn Vierspänner und zehn Zweispänner.
Um die Druck- und Glasplatten vor dem Zerbrechen und Kratzern zu schützen, standen den Helfern 500 Kilogramm Stroh zur Verfügung. Einmal verladen, sollten 26 Pferde das Evakuationsgut auf möglichst kurzem Weg zum nächsten Bahnhof bringen, von wo aus die Objekte mit der Eisenbahn zum Zielort gelangt wären. In der Tat gab es einen geeigneten Anschluss in der Nähe des Hauptsitzes der Landestopografie: Das Gaswerk Bern am gegenüberliegenden, linken Ufer der Aare verfügte über einen eigenen Eisenbahnzubringer, der mit der Station Wabern bei Bern verbunden war. «Die Maschine des Gaswerkes schiebt in 6 Minuten 5 beladene Waggons zur Station Wabern, so dass die Abfuhr leicht von statten geht», hielt der damalige Direktor der Landestopografie, Leonz Held, im April 1917 fest.
Der Weg zum Gaswerk war für die Pferde verhältnismässig leicht zu bewältigen, da er kurz war und kaum Steigungen aufwies. Jedoch wären auch Objekte zum Güterbahnhof Weiermannshaus am anderen Ende der Stadt Bern transportiert worden – hierfür waren die leistungsstärkeren Vierspänner erforderlich.
Glücklicherweise musste die Landestopografie während des Ersten Weltkriegs nicht evakuiert werden. Am 3. Dezember 1918, knapp vier Wochen nach Kriegsende, verfügte das Eidgenössische Militärdepartement, dass die «Vorarbeiten für die diversen Evakuationen» einzustellen seien.
Die Situation in Europa entspannte sich jedoch nur mittelfristig: Bereits in den 1930er Jahren mussten angesichts neuerlicher Spannungen in Europa die Evakuationspläne des Ersten Weltkriegs aus der Schublade geholt und an die neuen Bedingungen angepasst werden. 1941 kam es schliesslich zu einer teilweisen Verlegung der Landestopografie in ein stillgelegtes Kurhotel auf dem Brünigpass. Es diente bis 1945 als Réduitzentrale.
Im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals 2021 lädt swisstopo am Freitag, 10. September zu einer historischen Führung ein. Dabei stehen der Neubau des Landestopografie-Hauptsitzes sowie die Evakuationsvorbereitungen vor und während des Zweiten Weltkriegs im Zentrum. Details zur Anmeldung finden Sie über den untenstehenden Link.