Stefan Scheuteri, zuständig für den Dokumentations- und Fotodienst des Militärflughafens Emmen, kontaktierte im Sommer 2022 die Kartensammlung von swisstopo. Im Keller des Flughafens lagerten Blätter des Topographischen Atlas (Siegfriedkarte), die vom Flughafenpersonal nicht weiter gebraucht wurden. swisstopo übernahm vier Blätter, die Handmarkierungen aufweisen und daher als historisch relevant und erhaltenswürdig eingestuft wurden. Diese Handmarkierungen zeigen auf, wie das Kartenmaterial als planerische Grundlage für den Flugbetrieb diente und militärische Einrichtungen geheim gehalten wurden.
Nachdem der Stadtrat Luzern bereits 1924 die Schaffung eines Zivilflugplatzes angestrebt und das Eidgenössische Luftamt 1926 ein Gutachten zum Anschluss Luzerns an das Luftnetz erstellt hatte, empfahl das Luftamt 1928 die Fläche zwischen der Strasse Emmen – Waldibrücke und dem Rotbach als Flugpiste. Im Sommer 1930 besichtigte das Fliegerwaffenkommando das projektierte Flugfeld. Derweil verwarf der Stadtrat aufgrund zu hoher Kosten das Projekt. Doch die Gemeinde Emmen erblickte im Bau eines Flugplatzes eine Möglichkeit zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Da die zwei bestehenden Trainingsflugplätze der Luftwaffe in Dübendorf und Thun überlastet waren, beantragte nun die Abteilung für Flugwesen und Fliegerabwehr am 28. September 1937 die Schaffung eines ständigen Militärflugplatzes mit Flugzeugfabrik für Stadt und Kanton Luzern. Die Gemeindeversammlung Emmen beschloss am 24. April 1938, das Vorhaben mit einem Beitrag von 200'000 CHF zu unterstützen.
Am 7. Juli 1939 erfolgte die erste offizielle Landung auf dem Flugfeld Emmen. In den Folgejahren wurden zahlreiche Gebäude für die Unterbringung von Personal und Flugzeugen gebaut. Die Flugpiste wurde bereits 1946 auf 1100 Meter und 1951 um zusätzliche 400 Meter auf gesamthaft 1500 Meter verlängert. Die nächste Verlängerung fand 1957 statt. Die Piste wurde südwestlich um 600 Meter und nordöstlich um 400 Meter auf 2500 Meter vergrössert. Seit 1993 dient der Flugplatz der «Patrouille Suisse» und seit 2018 der Fliegerstaffel 19 als Homebase. Aus Geheimhaltungsgründen wurde die Piste erst ab 1994 auf der Landeskarte eingezeichnet.
Blatt «203 Emmen» erwies sich für die Kartensammlung swisstopo als besonders erhaltungswürdig, da dieses zahlreiche Handnotizen zur Piste und Anweisungen zu möglichen Flugrouten und relevanten Orientierungspunkten festhält. Zudem demonstriert das Kartenblatt, wie militärische Einrichtung in Zeiten des Kalten Krieges auf offiziellen Kartenblättern geheim gehalten wurden. Carlo Bosco vom Flugdienst swisstopo konnte zu den Markierungen wertvolle Hinweise geben, vermerkte allerdings, dass diese mangels ergänzender Quellen mehrheitlich spekulativer Natur bleiben.
Die mit Bleistift eingezeichnete 1500 Meter lange, seit 1951 bestehende, und 1957 auf 2500 Meter verlängerte Hauptpiste lässt vermuten, dass die Zeichnungen in diesem Zeitraum entstanden sind.Die Pistenachse ist an beiden Enden verlängert. Dies, um eventuell die Winkel von der Achse zu messen. Die schraffierten Flächen an den Enden deuten vermutlich bereits auf Auslaufzonen oder Freihalteflächen hin.
Ein auf der Höhe Emmen entlang der Reuss eingezeichneter Pfeil zeigt die allgemeine Flugrichtung ab der Piste in Richtung Nordwest auf. Unklar bleibt, ob die Linie mit dem Kompass oder auf Sicht, parallel zur Reuss mit Referenzpunkten, geflogen wurde. Der rote Pfeil ab Pistenende weist darauf hin, dass ab Pistenende ein rechtweisender Kurs eingenommen wird. Markierungen mit Kreisen wurden ab einer Distanz von 3 und 4 Kilometern vom Pistenende mit einem Zirkel eingetragen. Der Zweck dieser Markierungen bleibt unklar.
Die roten Pfeile und der Kreis nördlich von Rüeggisingen zeigen mit grosser Wahrscheinlichkeit Flugrouten, während die Bleistiftmarkierungen die dazugehörigen Flughöhen in Metern über Platzhöhe (vom Flugplatz) festhalten. Der Kreis markiert den Waffenplatz Emmen. Da die Pfeile keine exakte geometrische Form darstellen, ist davon auszugehen, dass nach Sicht geflogen wurde und markante Geländepunkte als Navigationshilfen benutzt wurden. Dies wird auch heute noch so gehandhabt. Das Beispiel zeigt, dass bestimmte Häuser oder Häusergruppen über- oder umflogen, oder Waldgrenzen als Richtpunkte verwendet wurden. Die zusätzliche Möglichkeit besteht, dass hier eine 4-Seiten-Aufnahme der Kaserne gemacht wurde. Allerdings wurden keine Luftbilder gefunden, welche dies bestätigen könnten. Das Kartenbild verdeutlicht, im Vergleich zum Luftbild (Abb. 1), wie im offiziellen Kartenblatt auf die Geheimhaltung der militärischen Infrastruktur geachtet wurde.
Die römischen Ziffern wurden wohlmöglich verwendet, um allfällige Missverständnisse mit den arabischen Ziffern zu vermeiden. Sehr wahrscheinlich handelte es sich beispielsweise bei römisch «la» und römisch «lb» um Anweisungen, dass jeweils 750 Meter über Platzhöhe geflogen werden sollte. Dabei dürfte es sich bei diesen Flughöhen um eine Flugübung oder einen Auftrag gehandelt haben. Unklar bleibt die Bedeutung der Koordinaten 664 985 / 216 600 sowie der Ziffern 24, 4, 6.
Die am Kartenrand angebrachte Notiz vermerkt «Störung Schussachse 55°- 60°» und «Abstellplätze 110-120°». Die Notiz könnte darauf hinweisen, dass die Angaben hier in Zusammenhang mit Schiessübungen standen. Fraglich bleibt allerdings, ob mit «Schuss» ein Geschoss, oder doch die Aufnahme eines Luftbildes gemeint war. Eine Luftaufnahme konnte allerdings nicht zugeordnet werden.
Die angebrachten Handnotizen auf Blatt «203 Emmen» des Topographischen Atlas demonstrieren, wie die Karte für den allgemeinen Flugbetrieb, Flugübungen, Orientierungshilfen und Schussübungen genutzt wurde. Die übersichtliche Gestaltung des Kartenblattes, ohne die auf der Topographischen Karte (Dufourkarte) noch dominanten Schraffen, ermöglichte den Einsatz der Siegfriedkarte für die Planung von Flugmanövern, von Infrastruktur und Industrie. Ebenfalls verdeutlicht das Beispiel, wie sich die militärische Geheimhaltung in den offiziellen Karten niederschlug. Weder die Piste des Flughafens, noch der Standort des Waffenplatzes Emmen wurde auf dem Kartenblatt publiziert. Diese markanten Objekte erschienen auf Kartenblättern erst nach Ende des Kalten Krieges. Deren Abwesenheit auf dem Blatt der Siegfriedkarte legen so auch Zeugnis über das wehrhafte Selbstverständnis der Schweiz im Kalten Krieg ab. Die Blätter dienen heute als historische Quellen für die Schweiz im 20. Jahrhundert.