Umstrittene Bergnamen. Dent Blanche oder Dent d’Hérens?

06. Lug.. 2022

Die Dent d'Hérens in einer terrestrischen Aufnahme, 1930 (swisstopo Bildsammlung, 350-405)

Wie heisst welcher Berg, und wer hat das so entschieden? Das Beispiel zweier Walliser Gipfel zeigt, wie Ortsbenennung und Kartografie zusammenhängen.

Als im 19. Jahrhundert die ersten amtlichen Karten der Schweiz erschienen, benannten die Kartografen auf diesen auch zahllose Berggipfel. Mancherorts widersprachen diese Namen jedoch lokal verankerten Bezeichnungen. In diesem Beitrag wird die Geschichte rund um die Namen der Walliser Berggipfel Dent Blanche (4357) und der Dent d’Hérens (4173) beleuchtet, die bis heute für Gesprächsstoff sorgt.

Streitbare Benennungen

Im Jahr 1861 veröffentlichte das Eidgenössische Topographische Büreau Blatt 22 der Topographischen Karte der Schweiz (Dufourkarte). Es zeigte den Südosten des Wallis mit der Matterhornregion, weshalb auch die zahlreichen Berggipfel dieser Region zu benennen waren. Die amtlichen Kartografen stützten sich dabei auf die Arbeiten des Walliser Geistlichen und Geodäten Josef Anton Berchtold (1780-1859) und andere Vorläufer. Berchtold hatte in seiner Arbeit auch den lokalen Sprachgebrauch berücksichtigt und war als Kirchenanwalt im Unterwallis eine gut vernetzte Autorität. An zwei Bergnamen, die auf Blatt 22 der Dufourkarte figurierten, regten sich später dennoch Zweifel: Hatten die Kartografen der Landestopographie die Dent Blanche und die Dent d’Hérens miteinander verwechselt?

Wikipedia-Beiträge zu den beiden Bergen argumentieren für eine solche Verwechslung.  Eine Begründung lautet, dass die Dent d’Hérens, im Gegensatz zur Dent Blanche, vergletschert sei. Folglich sollte die «weissere» Dent d’Hérens eigentlich Dent Blanche heissen. Zudem sei die Dent d’Hérens «vom Val d'Hérens nur an ganz wenigen Orten sichtbar», wie die Webseite der Gemeinde Zermatt betont. Zudem hätten die Bewohner des unteren Val d’Hérens die Dent d’Hérens um die Mitte des 19. Jahrhunderts als Dent Blanche bezeichnet und die Bewohner des oberen Tales hatten für den selben Berg die Namen Dent de Rong oder Dent d’Erins (sic) verwendet. Einen eindeutigen Beweis für die Verwechslungsthese legen deren Befürworter jedoch nicht vor.

Dass die meisten Berggipfel erst mit der Dufourkarte eindeutig benannt wurden, zeigte sich auch am Beispiel des preussischen Ingenieurgeografen Ernst Heinrich Michaelis (1794-1873). 1836 kritisierte er das damals übliche Kartieren von Bergen aus der Ferne. Der österreichische Militär und Topograf Ludwig von Welden habe, so Michaelis, 1824 in einer von der Gemmi aus aufgenommenen topografischen Ansicht die «Dent blanche d’Herens» mit dem Matterhorn verwechselt. Michaelis dürfte mit dieser Vermischung der beiden heutigen Bergnamen die Dent Blanche gemeint haben, da die Dent d’Hérens von der Dent Blanche verdeckt wird, wenn man von der Gemmi aus blickt. Michaelis’ Beispiel zeigt: Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten auch Experten mit Bergnamen hadern, weil es an flächendeckenden, eindeutigen Benennungen mangelte. Die Dufourkarte stellte in dieser Hinsicht einen Meilenstein dar.

Ob sich nun die Kartografen der Landestopografie geirrt hatten, als sie 1861 die Dent Blanche und die Dent d’Hérens benannten, kann kaum abschliessend beantwortet werden. Die heutigen Namen erscheinen aufgrund der Lage und Erscheinung der beiden Gipfel widersprüchlich, sind aber aufgrund der zahlreichen Bezeichnungen, die im Wallis des 19. Jahrhundert für die Berge kursierten - Dent d’Hérens, Dent Blanche, Dent de Rong, Dent d'Erin - auch nachvollziehbar.

Die Diskussion um die beiden Walliser Berggipfel zeigt vor allem eines: Flurnamen sind nicht naturgegeben, sondern menschgemacht. Wie unsere Wahrnehmung der Landschaft können auch sie sich mit der Zeit verändern und – je nachdem, wen man fragt – unterschiedlich oder gar widersprüchlich sein. Welcher Name sich schliesslich aus welchen Gründen durchsetzt, ist im Nachhinein oft schwer nachvollziehbar. Eine Tatsache ist aber, dass sich mit Blatt 22 der Dufourkarte von 1861 eine eindeutige und bis heute gültige Benennung der beiden Gipfel etablierte.

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