Als im 19. Jahrhundert die ersten amtlichen Karten der Schweiz erschienen, benannten die Kartografen auf diesen auch zahllose Berggipfel. Mancherorts widersprachen diese Namen jedoch lokal verankerten Bezeichnungen. In diesem Beitrag wird die Geschichte rund um die Namen der Walliser Berggipfel Dent Blanche (4357) und der Dent d’Hérens (4173) beleuchtet, die bis heute für Gesprächsstoff sorgt.
Im Jahr 1861 veröffentlichte das Eidgenössische Topographische Büreau Blatt 22 der Topographischen Karte der Schweiz (Dufourkarte). Es zeigte den Südosten des Wallis mit der Matterhornregion, weshalb auch die zahlreichen Berggipfel dieser Region zu benennen waren. Die amtlichen Kartografen stützten sich dabei auf die Arbeiten des Walliser Geistlichen und Geodäten Josef Anton Berchtold (1780-1859) und andere Vorläufer. Berchtold hatte in seiner Arbeit auch den lokalen Sprachgebrauch berücksichtigt und war als Kirchenanwalt im Unterwallis eine gut vernetzte Autorität. An zwei Bergnamen, die auf Blatt 22 der Dufourkarte figurierten, regten sich später dennoch Zweifel: Hatten die Kartografen der Landestopographie die Dent Blanche und die Dent d’Hérens miteinander verwechselt?
Wikipedia-Beiträge zu den beiden Bergen argumentieren für eine solche Verwechslung. Eine Begründung lautet, dass die Dent d’Hérens, im Gegensatz zur Dent Blanche, vergletschert sei. Folglich sollte die «weissere» Dent d’Hérens eigentlich Dent Blanche heissen. Zudem sei die Dent d’Hérens «vom Val d'Hérens nur an ganz wenigen Orten sichtbar», wie die Webseite der Gemeinde Zermatt betont. Zudem hätten die Bewohner des unteren Val d’Hérens die Dent d’Hérens um die Mitte des 19. Jahrhunderts als Dent Blanche bezeichnet und die Bewohner des oberen Tales hatten für den selben Berg die Namen Dent de Rong oder Dent d’Erins (sic) verwendet. Einen eindeutigen Beweis für die Verwechslungsthese legen deren Befürworter jedoch nicht vor.
Die Auseinandersetzungen um die Namenszuordnung der beiden Berge begannen bereits im frühen 20. Jahrhundert. Prominente Alpenschriftsteller stützten die Nomenklatur der amtlichen Kartografie. So argumentierte der englische Alpenliterat William Coolidge 1918, dass die Dent Blanche den korrekten Namen trage. Er untermauerte seine Ansicht mit dem Vermerk, dass der in alten Karten verwendete Namen «Weisszahnhorn» für die Dent Blanche stehen musste und Kartografen diesen schlicht zu südlich eingezeichnet hatten. Der Schweizer Philologe und Alpinist Heinrich Dübi folgte 1921 im Jahrbuch des Schweizerischen Alpenclubs Coolidges Argumentation. Dübi fügte hinzu, dass die Dent d’Hérens, wie Josef Anton Berchtold bereits um 1836 ausgeführt hatte, vermutlich «Dent de Rong» heissen sollte, oder, wie Julius Fröbel (1805-1893) 1840 argumentiert hatte als «Dent d’Erin», auf den Flurnamen Eiro bei Ferpèce zurückzuführen sei. Dass lange vor 1861 bereits Namen existierten, die denjenigen ähnelten, die durch die Dufourkarte erfolgten, stützte laut Coolidge und Dübi die offizielle Benennung.
Hatten nun Kartografen sich im amtlichen Kartenwerk geirrt und die beiden Gipfel miteinander verwechselt? Oder belegt der auf alten Karten verwendete Namen «Weisszahnhorn», dass die Namen richtig zugeordnet wurden?
Um dies zu beurteilen, lohnt sich ein tieferer Blick in die Geschichte der Alpenerkundung. Bis ins 18. Jahrhundert gab es in Europa kaum Interesse am Hochgebirge – die wirtschaftlichen Anreize fehlten dafür weitgehend, zudem waren die Hochalpen nur schwer zugänglich. Dieses Desinteresse zeigte sich auch in der Namenlosigkeit der höchsten Berge, wie der Volkskundler Martin Scharfe betont. Erst im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert trieben Naturforscher die wissenschaftliche Erkundung der Alpen und so auch deren Vermessung voran.
Seit dem 17. Jahrhundert vermerkten verschiedene Kartografen an unterschiedlichen Stellen ein sogenanntes «Weisszahnhorn». Doch selbst William Coolidge, der das Weisszahnhorn als Beleg für die korrekte Benennung der Dent Blanche heranzog, räumte aber ein, dass dieses «Weisszahnhorn» auf Karten an der falschen Stelle, nämlich zu südlich, vermerkt war.
Die Durchsicht historischer Karten zeigt allerdings, dass das «Weisszahnhorn» bis zum Erscheinen der ersten amtlichen Karte 1861 an stets unterschiedlichen Orten auftauchte. Tatsächlich dürften allgemeine Unkenntnisse des abgeschiedenen Hochgebirges zu der frühen Bezeichnung «Weisszahnhorn» geführt haben, wie die Glaziologin und Alpenkennerin Françoise Funk-Salamí betont. Der Name fungierte demnach – ähnlich wie die ebenfalls in älteren Karten verwendete Bezeichnung «weisses Gebirge» – als Beschreibung für diese Region: Der Name «Weisszahnhorn» dürfte Kartografen als beschreibender Überbegriff für die gesamte unbekannte Gebirgspartie gedient haben.
Dass die meisten Berggipfel erst mit der Dufourkarte eindeutig benannt wurden, zeigte sich auch am Beispiel des preussischen Ingenieurgeografen Ernst Heinrich Michaelis (1794-1873). 1836 kritisierte er das damals übliche Kartieren von Bergen aus der Ferne. Der österreichische Militär und Topograf Ludwig von Welden habe, so Michaelis, 1824 in einer von der Gemmi aus aufgenommenen topografischen Ansicht die «Dent blanche d’Herens» mit dem Matterhorn verwechselt. Michaelis dürfte mit dieser Vermischung der beiden heutigen Bergnamen die Dent Blanche gemeint haben, da die Dent d’Hérens von der Dent Blanche verdeckt wird, wenn man von der Gemmi aus blickt. Michaelis’ Beispiel zeigt: Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten auch Experten mit Bergnamen hadern, weil es an flächendeckenden, eindeutigen Benennungen mangelte. Die Dufourkarte stellte in dieser Hinsicht einen Meilenstein dar.
Ob sich nun die Kartografen der Landestopografie geirrt hatten, als sie 1861 die Dent Blanche und die Dent d’Hérens benannten, kann kaum abschliessend beantwortet werden. Die heutigen Namen erscheinen aufgrund der Lage und Erscheinung der beiden Gipfel widersprüchlich, sind aber aufgrund der zahlreichen Bezeichnungen, die im Wallis des 19. Jahrhundert für die Berge kursierten - Dent d’Hérens, Dent Blanche, Dent de Rong, Dent d'Erin - auch nachvollziehbar.
Die Diskussion um die beiden Walliser Berggipfel zeigt vor allem eines: Flurnamen sind nicht naturgegeben, sondern menschgemacht. Wie unsere Wahrnehmung der Landschaft können auch sie sich mit der Zeit verändern und – je nachdem, wen man fragt – unterschiedlich oder gar widersprüchlich sein. Welcher Name sich schliesslich aus welchen Gründen durchsetzt, ist im Nachhinein oft schwer nachvollziehbar. Eine Tatsache ist aber, dass sich mit Blatt 22 der Dufourkarte von 1861 eine eindeutige und bis heute gültige Benennung der beiden Gipfel etablierte.