Nomenklaturhefte: dem Volksmund auf der Spur

30. Apr. 2024

Ein Stapel Nomenklaturhefte. Auf dem Umschlag wurden jeweils die lokalen Gewährsleute genannt – in diesem Fall beispielsweise der Wirt Hermann Kägi.

In der Dokumentensammlung von swisstopo befinden sich zahlreiche Notizhefte aus den Jahren 1944–1949. Die Schrift, in der die handschriftlichen Einträge verfasst sind, wirkt auf den ersten Blick rätselhaft.

Dutzende Hefte, randvoll mit merkwürdigen Einträgen. Ein seitenverkehrtes «e» und ein unter der Linie geschriebenes «X» kommen in den meisten Wörtern vor. Das hat einen einfachen Grund: Die Einträge – immer drei pro Heftseite – sind in phonetischer Schrift verfasst. Zwischen 1943 und 1952 hatte swisstopo mit Johann Hubschmid nämlich einen eigenen Linguisten. Er sollte dabei helfen, die Ortsbezeichnungen in der Landeskarte sprachlich zu harmonisieren. Zwischen 1944 und 1949 zog er durchs Land und befragte die lokale Bevölkerung: Wie heisst dieser Bach? Welchen Namen hat jener Hügel? Und wie nennt ihr das Wäldchen dort drüben? Die Antworten von Lehrern, Bauern, Gastwirten und anderen ortskundigen Gewährsleuten trug er anschliessend in die Notizbücher ein, die bis heute in der swisstopo-Dokumentensammlung aufbewahrt werden.

Das Neue an Hubschmids Vorgehensweise war, dass er die Ortsbezeichnungen in phonetischer Schrift sammelte und die schweizerdeutsche Aussprache möglichst präzise festhalten wollte. Damit folgte er konkreten Vorgaben: Seit den 1940er Jahren sollten sich die Flurnamen in den Karten primär an der gesprochenen Form orientieren. So sollte die Schweizer Mundart auch in Karten stärker zur Geltung kommen. Bis dahin hatten Topografen und Grundbuchvermesser nicht die gesprochenen, sondern die geschriebenen Formen der Namen gesammelt. Diese Schreibformen waren meistens stark von der hochdeutschen Schriftsprache beeinflusst, was zur Zeit der Geistigen Landesverteidigung in den 1930er und 1940er Jahren als unpatriotisch wahrgenommen wurde. So sind die Nomenklaturhefte nicht zuletzt auch Zeugnisse einer sprachpolitischen Auseinandersetzung, die vor knapp hundert Jahren sehr emotional diskutiert wurde.

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